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»Sto zlotych«, wiederholte der andere dickköpfig.
»Der ist stur wie ein Bock«, meinte Cesare. Dann, wie von plötzlicher Müdigkeit ergriffen und als
sei er zu einem letzten Einigungsversuch bereit, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte
mütterlich: »Hör, mein Guter, hör zu. Du hast mich nicht richtig verstanden. Komm, wir wollen uns
einigen. Du gibst mir soviel«, und er zeichnete ihm mit dem Finger 150 auf den Bauch, »du gibst
mir sto pindschischu, dann kannst du das Hemd meinetwegen ... Einverstanden?«
Der Dickbauch brummte, sah zu Boden und schüttelte den Kopf; aber Cesares erfahrenem Blick
war das Zeichen der Kapitulation nicht entgangen: eine kaum merkliche Bewegung der Hand in
Richtung Gesäßtasche.
»Na los! Raus mit den Pinjonze!« trieb ihn Cesare an und schmiedete das Eisen, solange es heiß
war. Die Pinjonze (das polnische Wort, das sich geschrieben so fremd ausnimmt, aber einen
seltsamen vertrauten, fast italienischen Klang hat, faszinierte uns beide) kamen schließlich zum
Vorschein, und das Hemd wechselte den Besitzer; aber gleich darauf riß mich Cesare energisch aus
meiner ekstatischen Bewunderung.
»Los, Kamerad, abhauen, sonst riechen die den Braten.« Wir »hauten also ab«, aus Angst, der
Käufer könne zu früh das Loch bemerken, und verzichteten darauf, die schwer verkäufliche
Stoppuhr an den Mann zu bringen. Mit würdevoller Langsamkeit schritten wir bis zur nächsten
Ecke, dann rannten wir los, so schnell die Beine uns trugen, und kehrten auf Umwegen ins Lager
zurück.
Victory Day
38
Das Lagerleben in Bogucice, die Ambulanz, der Markt, die rudimentären menschlichen
Beziehungen zu Russen, Polen und anderen, der schnelle Wechsel von Hunger und Sättigung, von
der Hoffnung auf Heimkehr und der Enttäuschung, das Warten, die Ungewißheit, das
Kasernenleben und alle die kleinen Manipulationen, diese heruntergekommene Form von
Soldatenleben in einer provisorischen und fremden Umgebung, all das erfüllte mich mit
Unbehagen, Heimweh, vor allem mit Langeweile. Dagegen entsprach dieses Leben genau den
Gewohnheiten, dem Charakter und den Wünschen Cesares.
Er blühte in Bogucice sichtlich und von Tag zu Tag mehr auf, wie ein Baum, in den im Frühling der
Saft steigt. Er hatte inzwischen einen festen Platz auf dem Markt und eine treue Kundschaft, die er
sich aus dem Nichts geschaffen hatte: die Schnurrbärtige, die Hautundknochen, den Repiscitto,
mindestens drei Arschbacken, das Ausreisepapier, Frankenstein, ein Mädchen mit junonischen
Formen, von ihm »das Tribunal« genannt, und andere. Im Lager war er hoch angesehen; zwar hatte
er mit Giacomantonio gebrochen, aber viele andere überantworteten ihm Waren zum Verkauf, ohne
Vertrag, nur auf Treu und Glauben; es fehlte ihm also nicht an Geld.
Eines Abends war er verschwunden; weder erschien er zum Abendessen noch zum Schlafen in
unserem Raum. Natürlich sagten wir Rovi nichts, geschweige denn den Russen; wir wollten keine
Schwierigkeiten. Nachdem er aber drei Tage und Nächte ausgeblieben war, begann auch ich -
obwohl von Natur nicht sonderlich ängstlich und im Zusammenhang mit Cesare schon gar nicht -
mir Sorgen zu machen.
Im Morgengrauen des vierten Tages war er wieder da, brummig und widerborstig wie ein Kater, der
von einem Streifzug über die Dächer zurückgekehrt ist. Tiefe Schatten lagen um seine Augen, in
ihnen aber blitzte ein stolzes Feuer. »Laßt mich in Ruhe«, war sein erstes Wort, obwohl niemand
den Mund zu einer Frage aufgetan hatte und die meisten noch schnarchten. Er warf sich völlig
erschöpft, wie es schien, auf sein Bett; aber nur wenige Minuten: die große Neuigkeit, die ihn
erfüllte, mußte heraus, und er kam zu mir.
Ich war eben erst aufgewacht; heiser und zerzaust, als habe er drei Nächte mit den Hexen getanzt,
flüsterte er: »Es ist soweit. Ich hab' es geschafft. Ich hab' mir eine Panjinka zugelegt.«
Diese Nachricht begeisterte mich keineswegs. Er war keineswegs der erste: auch andere Italiener,
besonders Soldaten, hatten sich in der Stadt ein Mädchen gesucht, denn Panjinka bedeutet dasselbe
wie »Fräulein« und klingt genauso zweideutig.
Es war kein besonders schwieriges Unternehmen, denn in Polen waren die Männer rar, und viele
Italiener hatten sich »versorgt«, nicht nur vom nationalen Mythos des guten Liebhabers so verführt,
sondern auch aus einem tieferen und ernsteren Bedürfnis heraus, der Sehnsucht nach einem
Zuhause, nach Zuneigung. Es geschah daher häufig, daß der umgekommene oder abwesende Gatte
nicht nur im Herzen und im Bett der Frau, sondern in all seinen Pflichten ersetzt worden war; man
konnte sehen, wie Italiener zusammen mit den Polen in die Kohlengruben einfuhren und die
Lohntüte nach »Hause« brachten; wie sie hinter dem Ladentisch standen und sonntags seltsame
Familien bildeten, die wohlanständig auf den Bastionen herumspazierten, der Italiener mit der Polin
Arm in Arm, ein viel zu blondes Kind an der Hand.
Aber Cesare versuchte mir klarzumachen, daß es sich in seinem Fall ganz anders verhielte (es ist
immer ganz anders, dachte ich gähnend). Seine Panjinka war wunderschön, unverheiratet, elegant,
sauber, verliebt und infolgedessen auch billig. Sie hatte natürlich ihre Erfahrungen; ihr einziger
Fehler war, daß sie polnisch sprach.
Deshalb mußte ich, wenn ich wirklich sein Freund war, ihm helfen.
Müde machte ich ihm klar, daß er von mir nicht zuviel erwarten solle. Erstens konnte ich nicht viel
mehr als dreißig Worte Polnisch; zweitens hatte ich von dem Liebesvokabular, das er benötigte,
nicht die leiseste Ahnung; drittens war ich einfach nicht in der Stimmung, ihn zu begleiten. Aber
Cesare ließ sich nicht entmutigen: vielleicht verstand ja das Mädchen Deutsch. Er hatte ein sehr
präzises Programm ausgearbeitet; ich sollte ihm nur den Gefallen tun, mich nicht dagegen zu
sperren, und ihm dieses oder jenes Wort auf Deutsch sagen.
Er überschätzte meine Sprachkenntnisse. Was er von mir wissen wollte, lernt man in keinem
Deutschkurs, und in Auschwitz hatte ich erst recht keine Gelegenheit dazu; außerdem handelte es
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